III. Erst kommt das Fressen...

...dann die Moral. Essen, Nahrungsaufnahme ist die Grundvoraussetzung für das Überleben jedes Lebewesens. Nicht zuletzt deshalb sind das Essen und Kochen wichtiger Bestandteil jeder Kultur und unterlag wohl deshalb bereits früh in der Menscheitsgeschichte Ritualisierungen, sei es bei der Nahrungsaufnahme selbst oder z.B. der Tabuisierung von Nahrungsmitteln (Verbot von Schweinefleisch etc.). Nahrungsaufnahme kann der Kommunikation dienen und so eine wichtige soziale Funktion erfüllen für eine große Anzahl von Menschen (Gelage, Banketts etc.) oder auch nur zwei (Candlelight-Dinner) und wird selbst in seiner einsamsten Form (Henkersmahlzeit) zum Ritual.

Die sogenannte "große Küche" interessiert mich deshalb weniger, eher das "was die Leute essen", warum sie es essen, woher die Gerichte kommen etc.

Als Einführung kann ich z.B. die offizielle Fritten-homepage empfehlen, der u.a. zu entnehmen ist, daß Fritten etwas urbelgisches sind und nicht etwa aus Frankreich kommen (von wegen French Fries). Sinnigerweise wurde diese homepage ursprünglich von einer Friture in Deinze in Flandern aus gewartet. Chicorée - ebenfalls eine belgische Erfindung - war eigentlich ein belgisches Arme-Leute Gemüse und ist noch gar nicht so lange her aus der nackten Not heraus kultiviert worden. Leider ebenfalls wenig bekannt ist, daß es in Belgien eine regelrechte Bierkultur gibt mit einer Vielzahl von Biersorten, bei der dem hiesigen Pilstrinker schwindelig werden kann; hier ist ein Überblick.

Und wer kennt eigentlich Spitzkohl,


(Prachtexemplar eines Spitzkohls, im Herbst 1997
auf dem Wochenmarkt in Groß-Gerau gefunden und
sofort zubereitet)

eine Variante des Weißkohls, die - zu unrecht - fast ausschließlich zur Herstellung von Sauerkraut angebaut wird.

Ach ja: das klassische belgische Muschel-Rezept (vier Personen):

    4 - 5 Kilo Miesmuscheln (am besten holländische Seelandmuscheln)
    3 - 4 große Zwiebeln
    1 grüne Selleriestaude (sogenannter Suppensellerie, ersatzweise Bleichsellerie oder, wenn es
    nicht anders geht, Knollensellerie)
    2 - 3 große Lorbeerblätter
    reichlich frisch gemahlener Pfeffer, weiß oder schwarz
    etwas Salz
    KEIN Weißwein

Die Muscheln waschen und wenn nötig (kommt bei holländischer Ware kaum noch vor) abbürsten. Offene und beschädigte Muscheln wegwerfen. Obacht: nicht jede offene Muschel ist gleich tot bzw. ungenießbar. Es empfiehlt sich, die Muscheln erst einmal kurz in kaltem Salzwasser zu baden, damit sie sich vom Transport erholen. Offene Muschel ein oder zweimal zudrücken; reagiert sie (schließt sich), war das Tier nur groggy und hat frisches Wasser geschnappt, ergo ist sie eßbar; sagt se nix, isse tot und muß weggeworfen werden. Zwiebeln in dünne Ringe, Sellerie einschließlich Blätter in kleine, ca 3 cm lange Stücke schneiden. Gemüse in einen großen Suppentopf werfen. Obacht: die Muscheln werden nicht alle auf einmal in den Topf passen, also das Gemüse auf mehrere Portionen aufteilen. Ordentlich Pfeffer drüber und etwas Salz, Lorbeerblatt dazu. Mit Wasser gerade eben bedecken, damit nix anbrennt. Zudecken und Gemüse fast gar kochen (al dente). Dann die Muscheln hinterher, aber den Topf nur zu zwei Dritteln füllen, da die Muschelschalen sich beim Kochen öffnen und dann ziemlich viel Platz brauchen. Den ganzen Topf gelegentlich schütteln um das unterste zuoberst zu kehren (z.B. damit das Gemüse nicht anbrennt) und mit Vollgas/-strom kochen, bis auch die letzte Muschel vollständig geöffnet ist. Das geht überraschend schnell und dauert keine zehn Minuten. Sofort servieren und auf tiefe Suppenteller verteilen, damit der Topf wieder frei ist für die nächste Portion. Dazu gibt es keinen Wein, weil auch keiner mitgekocht worden ist; stattdessen Fritten und Bier; basta!

Die "normale" oder "einfache" Küche wird zumeist gründlich unterschätzt. Das Problem ist, daß man sich meistens nicht die Mühe macht, auch für einfache oder alltägliche Gerichte auf qualitativ hochwertige Zutaten zu achten. Mit Schrecken denke ich daran, daß viele Hausfrauen das allerbilligste Öl  und allerbilligsten Essig (genau - den für fünfzig Pfennige in der Plastikflasche, mit dem man bestenfalls das Klo reinigen kann) benutzen, um Salat anzumachen, während sie den Eigengeschmack jeglichen anderen Gerichtes mit Fondor erschlagen. Selbst jetzt, wo ich nicht mehr allzuviel Zeit fürs Kochen habe, habe ich immer verschiedene Sorten von Ölen und Essig im Gebrauch. Es empfiehlt sich, zumindest ein qualitativ hochwertiges, hoch erhitzbares Öl mit wenig Eigengeschmack im Haus zu haben (Livio z.B. oder reine Sorten wie Raps- oder Traubenkernöl, keinesfalls jedoch Distelöl) und auf jeden Fall ein gutes Olivenöl. Letzteres ist heutzutage nicht nur bei Aldi billig zu haben, und das genügt fast immer auch. Außerdem sollte ein echter Weinesssig benutzt werden; italienische Sorten gibt es da schon ab drei Mark pro Liter; ein Obstessig und ein (nicht allzu teurer) Balsamicoessig gehören eigentlich auch in jede Küche. Wer sich zum Braten nicht mit Ölen anfreunden kann sondern feste Fette bevorzugt, der sollte wenigstens Butterschmalz verwenden.


(Salcicca, die italienische Variante der groben Bratwurst;
wer sich für die Geschichte und Entwicklung der italienischen Küche
von den Etruskern bis heute interessiert, der klicke diesen LINK an)

Ein ganz einfaches Rezept als Beispiel für hervorragend schmeckende und schnell zubereitete Banalitäten (wieder für 4 Personen):

    2 Kalbsnieren
    Olivenöl
    trockener Sherry
    japanische Soyasauce
    Salz, Pfeffer

Die Kalbsnieren säubern, d.h. das Fett aus dem Innenteil herausschneiden. Ein guter Metzger macht das meiste schon, im Supermarkt oder gar im Großmarkt (Metro, Fegro) sind die Dinger dafür aber deutlich billiger. Entgegen landläufiger Meinung sind Kalbsnieren eine saubere Angelegenheit und müssen im Gegensatz zu Schweinenieren nicht erst lange gewässert oder in Milch eingelegt werden; man kann sie so nehmen, wie sie sind. Die Nieren quer in ca. 5 mm dicke Scheiben schneiden. In einer Guß- oder Eisenpfanne etwas Olivenöl heiß werden lassen - keine Angst: Olivenöl verträgt mehr Hitze als man denkt (Manche Leute braten sogar Filetsteaks darin!). Die Nieren portionsweise im heißen Öl anbraten, notfalls zwei Pfannen benutzen. Nach ca. 5 Minuten mit etwas Sherry und Soyasauce ablöschen, zugedeckt noch wenige Minuten weiter auf dem Feuer lassen; dann mit Salz und frisch gemahlenem Pfeffer fertig würzen und sofort aufessen. Das Salz kann man auch teilweise durch gekörnte Fleischbrühe oder Brühwürfel ersetzen, das schmeckt noch besser. Dazu geht Weißbrot und Weißwein.

Etwas raffinierter - aber fast genauso einfach - ist folgendes Rezept für Kalbsnieren:

    2 Kalbsnieren
    50 g Butter
    30 cl Kalbsfond (Fertigprodukt, z.B. Lacroix)
    33 cl Belgisches Trappistenbier (z.B. Chimay Double, ersatzweise Doppelbock)
    25 cl. Sahne
    4 Eßlöffel grober Senf, ein Eigelb, Mehl
Nieren wie gehabt in dünne Scheiben schneiden, in Mehl wälzen und in Butter von jeder Seite 2 Minuten anbraten,  mit Salz und Pfeffer würzen und warmstellen. Das Bier in der Zwischenzeit in einem offenen Topf bei milder Hitze reduzieren; Kalbsfond dazu und noch einmal reduzieren. In einem anderen Gefäß Sahne, Eigelb und Senf vermischen und zur Soße dazugeben. Die Nieren dazugeben und noch einmal erhitzen, aber nicht kochen lassen. Nochmal abschmecken und servieren.

Die japanische Soyasauce bevorzuge ich deshalb, weil sie etwas leichter ist als die chinesische. Auch hier sollte man auf Qualität achten, die aber auch nicht teuer ist. Marktführer hier in Deutschland ist wohl Kikkoman, aber es gibt im Asien-Laden auch andere Marken. Wichtig ist, daß keinerlei Konservierungsmittel und Farbstoffe zugesetzt sein dürfen; dann hält auch die geöffnete Flasche ungekühlt mehrere Monate lang.

Zu Brühwürfeln, auch Bouillon genannt, fällt mir ein, daß Fertiggerichte an sich nichts schlimmes sind bzw. sein müssen, auch sind sie keine neue Erfindung. Zunächst aus der Notwendigkeit heraus entstanden, eßbares haltbar machen zu müssen, hat Gottfried von Bouillon (genau - der Kreuzfahrer!) den Brühwürfel erfunden. Wenn man genug Leute zu bekochen hat, greift man gerne auf Halbfertigprodukte zurück, sonst wäre man den ganzen Tag nur noch am kochen.

Die Entwicklung und Geschichte industrieller Fertignahrung ist ein Kapitel für sich, dem ich mich hier irgendwann einmal zuwenden werde, wenn ich die Zeit dafür habe. Als Vorgeschmack vielleicht ein Bild von meinen Lieblingsbohnen

und als kurze Einführung in die Entstehungsgeschichte haltbar gemachter Nahrungsmittel aus industrieller Fertigung ein etwas längeres Zitat aus: Gert v. Paczensky, Anna Dünnebier, Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, 2. Aufl., München 1997, ISBN 3-442-72192-X, S. 400f.:

"Erst in der Neuzeit entdeckten die Menschen andere Möglichkeiten, ihre Nahrung länger eßbar zu halten, (...). Liebig entwickelte seinen Fleischextrakt, Pasteur entdeckte das Verfahren, wie Milch durch "Pasteurisieren" haltbar gemacht werden kann, Maggi entwickelte mit seinen Suppenwürfeln das Pendant zur indianischen Fleischpulversuppe, und Knorr brachte die vegetarische Version, die Erbswurst, auf den Markt. Die beiden wichtigsten Neuerungen waren das Einmachen in Dosen und Einfrieren.
Im Jahr 1804 testete der Franzose Nicolas Appert ein von ihm entwickeltes Verfahren, Lebensmittel durch Erhitzen in geschlossenen Glasbehältern haltbar zu machen. Die französische Regierung hatte einen Preis von 12.000 Franc ausgesetzt für eine Erfindung, die es ermöglichen würde, Soldaten mit haltbarer Nahrung zu versorgen, die möglichst wenig verändert war - also kein Trockenfleisch. (...) (Auch Knorrs Erbswurst war zunächst Militärverpflegung, und zwar für den Krieg von 1870/71; das preussische Kriegsministerium hatte für 37.000 Taler die Herstellungsrechte gekauft.) Appert hatte kein Patent angemeldet; Engländer und Amerikaner übernahmen seine Methode, ersetzten die schweren, teuren Glasgefäße durch leichte, billige Blechdosen. (...) Inzwischen war eine besser schmeckende Konkurrenz auf dem Markt: Gekühltes und Tiefgefrorenes.
Eishäuser zum Kühlen von Fleisch und Fisch gab es schon Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa, Asien und Amerika; (...) Aber die Kosten des Eissammelns, Aufbewahrens und Verfrachtens waren so hoch, daß diese Technik kein durchschlagender Erfolg war. (...) 1850 konstruierte James Harrison (...) eine Maschine, die mit Verdampfung und Kompression von Äther Eis erzeugte. Der französische Ingenieur Ferdinand Carré baute 1867 eine Eismaschine, die mit Ammoniak arbeitete."

Das Buch kann ich auch ansonsten nur wärmstens weiterempfehlen; es liest sich wie ein Krimi. Erschienen ist es als btb Taschenbuch und kostet DM 24,80.

Bevor´s weitergeht jetzt aber erst mal eine Pizza!
 
 

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